Interview 7
Martin fordert die Männer auf, ihr Selbstbild in Bezug auf Männlichkeit zu überdenken und die eigenen Verhaltensweisen und Denkmuster zum Thema Ernährung zu hinterfragen
1. Erzähl zunächst etwas über dich: Wer bist du?
Mein Name ist Martin, ich bin 28 Jahre alt und lebe seit knapp zwei Jahren vegan. Ich bin verlobt, habe noch keine Kinder, aber dafür einen wundervollen Hund. 🙂 Ich habe an der Goethe-Uni in Frankfurt Erziehungswissenschaften (M.A.) studiert und arbeite derzeit als Sozialpädagoge im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Neben meiner Arbeit mache ich auch gerade eine Ausbildung zum „Veganen Ernährungsberater“. In meiner Freizeit praktiziere und unterrichte ich regelmäßig Aikido (eine traditionelle japanische Kampfkunst). Außerdem versuche ich mich als Buchautor im Bereich (populär-)wissenschaftlicher Literatur und arbeite im Moment an einem Buch, dass den Zusammenhang zwischen Ernährung, Erziehung und Veganismus näher beleuchten soll. Die vegane Lebensweise ist zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden und so möchte ich meinen gesellschaftlichen Beitrag für eine bessere Welt leisten und mich für die Rechte aller leidenden Tiere einsetzen.
Ich glaube, dass ich mein Wechsel zu einem veganen Lebensstil sehr untypisch verlief. Ich war früher wie die meisten Menschen auf der Welt ein „Mischköstler“ und habe dementsprechend auch viel Fleisch gegessen. Ich lernte meine jetzige Verlobte, die damals schon Vegetarierin war, vor fast sechs Jahren kennen, doch hatten mich ihre Essgewohnheiten relativ wenig interessiert. Mit der Zeit interessierte sie sich immer mehr für eine vegane Ernährung und stellte sich stückweise um. Wir arrangierten uns insoweit, dass bei uns Zuhause eigentlich kein Fleisch mehr zubereitet und andere tierliche Produkte (wie Käse oder Eier) nur in geringen Mengen gekauft wurden. Eines Tages sollte ich mit ihr eine Dokumentation zum Thema Ernährung anschauen. Es war die Doku „What the Health“ von Keegan Kuhn. Die Inhalte dieses Films haben mich auf enorme Weise erschüttert und mein Weltbild ins Wanken gebracht. Es fühlte sich so an, als wäre ich aus einem Alptraum aufgewacht, oder als wäre ich mein ganzes Leben lang manipuliert worden. Nach einigen Recherchen habe ich von einem Tag auf den anderen meine Ernährung auf vegan umgestellt. Es war eine harte Zeit, aber seit diesem Tag habe ich keine tierlichen Lebensmittel mehr angerührt. Es waren zuerst die gesundheitlichen Gründe, die mich zum Veganismus brachten. Mit der Zeit und weiterer Recherche gibt es für mich nun insgesamt sechs Gründe für eine vegane Lebensweise:
- Ethik und Rechte für Tiere
- Unsere Gesundheit
- Die Zukunft unserer Erde (Klimawandel, Umwelt)
- Soziale Gerechtigkeit (Welthunger)
- Spiritualität und „innerer Frieden“
- Kreativität und Genuss (Entdeckung der Vielfalt einer pflanzlichen Ernährung)
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich denke, dass Aufklärung und Wissensvermittlung die ersten Schritte darstellen. Doch das reicht nicht aus. Ernährung, bzw. Essen ist so viel mehr als nur eine notwendige Tätigkeit zum Überleben. Es gibt eigentlich kaum ein intimeres Thema als das Essen für uns Menschen. Mit Essen werden Erinnerungen, Emotionen und unterschiedliche Glücksgefühle verbunden. Dennoch leben wir in den Mustern und Routinen, die uns seit unserer Kindheit durch unsere Eltern mitgegeben werden, sodass wir z.B. beim Einkauf von Lebensmitteln in der Regel nicht aktiv und objektiv nachdenken. Entscheidungen fallen unterbewusst und werden durch mediale Einflüsse gelenkt. Manchmal wird vielleicht in vermeintlich gesund oder ungesund kategorisiert, aber darüber hinaus geht es selten. Ein weiterer Schritt wäre also das Erreichen anderer Menschen auf einer emotionalen Ebene, um sie aus ihrer eigenen abgeschotteten Welt zu holen, damit diese überhaupt mit Wissensvermittlung und Aufklärungsversuche zu erreichen sind! Ich meine damit nicht die typische „Schock-Pädagogik“, die z.B. gerne von PETA eingesetzt wird. Sie ist, wenn überhaupt, nur ein Teil des komplexen Puzzles, welches zu einem Instrument der Überzeugung werden kann. Für die emotionale Begegnung muss man erst verstehen lernen, weshalb so viele Leute beim Thema Fleischkonsum oder Veganismus so extrem auf die Barrikaden gehen. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, wenn wir unser individuelles Konsumverhalten ändern, dieses in offenen Gesprächen und Diskussionen teilen und vor allem nicht den Versuch starten, mit erhobenem Zeigefinger zu missionieren. Um dieses Thema soll es auch in meinem Buchprojekt gehen, dass sozusagen die Zusammenhänge von Erziehung, Sozialisation und Lernprozessen in Bezug auf Ernährung aufzeigt.
An dieser Stelle möchte ich zuerst zurückfragen: Was bedeutet denn männlich sein? Das Geschlecht eines Menschen ist zwar biologisch definiert, doch glaube ich, dass das gesellschaftliche Bild von Geschlechtern stark von Erziehung und Sozialisation geprägt wird. So herrscht in unserer Gesellschaft ein Männerbild vor, das von Stärke, Macht, Erfolg, Sexualität und Emotionslosigkeit gezeichnet ist. Dieses Bild wird von der Idee des Mannes als Jäger, der niemals schwach sein darf, Fleisch essen muss und am besten noch ein Frauenheld ist, genährt und verstärkt. Wir leben in einer Welt, die immer noch von Männern dominiert wird und ich denke, dass dies auch stark mit dem vorherrschenden Bild von Ernährung zusammenhängt. Zudem steht die Unterdrückung der Weiblichkeit eng in Verbindung mit der Ausbeutung weiblicher Tiere, wie z.B. Kühen oder Hühnern (Konsum von Milch und Eiern). Für mich ist diese Tatsache auch untrennbar mit der Entstehung von Gewalt verwoben, da Männer schon ab dem Kindesalter mit der von außen an sie herangetragenen Rolle überfordert sind. Doch die Fassade beginnt mit der „veganen Bewegung“ zu bröckeln und ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauert, bis sich die Menschen (vor allem die Männer) nicht mehr in ein Raster gefangen nehmen lassen. Um aber nun die Frage zu beantworten: Männlichkeit bedeutet für mich Respekt vor dem Leben (Natur, Tiere, Mitmenschen), die Stärke seine geliebten Menschen (Familie) zu beschützen, Mut auch mal Emotionen (Liebe, Trauer, etc.) oder Schwäche zu zeigen und der Einsatz für eine Verbesserung der Welt, damit unsere Kinder und Enkelkinder eine glückliche Zukunft haben können. Ich sehe darin keinen Widerspruch zum Veganismus.
Das kann ganz unterschiedlich sein. Ich denke nicht, dass es pauschal passende Argumente gibt, die bei jedem Mann funktionieren. Schließlich entscheiden sich auch Frauen zu Beginn aus verschiedenen Gründen für eine vegane Lebensweise. Für mich haben bisher Argumente, die mit dem Thema Gesundheit zusammenhängen, immer gut funktioniert. Ich denke auch, dass das ein Aspekt ist, der für jeden Menschen interessant ist. Jedes Gespräch ist anders und man muss vorher schauen, welches Thema für den jeweils anderen überhaupt von Bedeutung ist. Der Klimawandel ist ja im Moment hochaktuell. Das könnte eine Möglichkeit sein, überhaupt mal über die Auswirkungen unseres Konsumverhaltens nachzudenken.
Das ist auch sehr verschieden. Es gibt Männer, die das ganze belächeln, während andere ganz interessiert sind und auch mal nachfragen. Es wurde mir aber bisher nicht unterstellt, dass ich aufgrund meiner Ernährung nicht männlich genug bin. 🙂
Das ist eine spannende Sache. Meine Eltern, vor allem meine Mutter war und ist noch sehr skeptisch. Sie hat auch eine Weile gebraucht, bis sie mein neues Ernährungsprinzip verstanden hat. Mittlerweile ist das alles kein Problem mehr, denn sie kocht auch vegan, wenn ich zu Besuch bin. Meine Verlobte ist ja auch Veganerin, sodass es Zuhause überhaupt keine Probleme gibt. Im Freundeskreis habe ich einige Vegetarier_innen, die sich auch sehr für die vegane Ernährung interessieren. Bisher ist aber alles überwiegend positiv verlaufen. In meinem sozialen Umfeld befinden sich aber auch generell eher offene und tolerante Menschen, die mehr Interesse als Abneigung zeigen. Ein bisschen Skepsis ist aber immer mal wieder dabei.
Das kommt auch immer auf die Situation und die Person an. Wenn Freunde manchmal einen ironischen oder sarkastischen Witz machen, kann ich gerne auch darüber lachen. Bei fremden Leuten muss ich immer abwägen. Ist es der Zeitpunkt und der richtige Ort für eine Diskussion? Was für eine Intention hat die andere Person? Wenn die Situation passt und ich gerade schlagfertig genug bin, versuche ich über interessiertes Nachfragen eine Konversation auf ernsterem Niveau zu führen. Das mache ich aber auch nur, wenn ich merke, dass die andere Person auch dazu bereit ist. Manchmal ist es auch einfach besser, wenn man einfach kommentarlos weitergeht und sich nicht ärgert. Ein Tipp: Während einer Mahlzeit mit anderen in eine so schwierige Diskussion einzusteigen, ist in der Regel nicht wirklich zielführend. Man kann solche Gespräche immer gerne auf einen späteren Zeitpunkt (z.B. bei einem Kaffee oder Tee) verschieben.
Frauen sind in der Regel etwas offener und interessierter. Ich habe aber gelernt, dass diese nicht unbedingt leichter zu beeinflussen sind. Bisher habe ich aber keine „schlechten“ Erfahrungen gemacht. Ich denke, dass bei jungen Frauen besonders das Thema Schwangerschaft und Ernährung der Kinder im Fokus stehen, weil sie einfach Angst haben, etwas Falsches zu machen. Frauen sind meistens auch zugänglicher beim Thema Tierrechte, bzw. -ethik, weil mit Tieren oft positive Emotionen verbunden sind.
Ja, es ist mir sehr wichtig. Veganismus ist für mich nicht nur Ernährung, es ist wie schon gesagt ein Lebensstil und der komplette Alltag richtet sich danach. Es wäre schwierig, wenn ich eine Partnerin hätte, die diesbezüglich nicht die gleiche oder ähnliche Meinung hat. Zum Glück ist meine Verlobte auch Veganerin. 🙂
Es gibt einige Vegetarier_innen und auch vereinzelt Veganer_innen. Das Thema kommt auch immer wieder unweigerlich auf, da man darüber auch immer gut und gerne diskutieren kann. Meiner Meinung nach ist ein offener Austausch ohne ständige Kritik einfach wichtig, nur so kommen wir weiter. Natürlich sprechen wir auch andere Sachen an oder wir lassen das Thema ruhen, falls es einfach gerade nicht passt.
Oh, da gibt es ganz viele. Wenn es um Ersatzprodukte geht, finde ich tatsächlich die vegane Produktreihe der „Rügenwalder Mühle“ am besten. Ich finde es auch toll, dass ein traditioneller Fleischbetrieb eine solche Entwicklung durchmacht. Das ist die Zukunft der Lebensmittelindustrie. Wenn es um Gerichte allgemein geht, könnte ich eine Menge aufzählen, aber Beispiele wären: Vegane Spaghetti Carbonara (auf der Basis von Cashewkernen) und alle veganen Kuchen!
Ich glaube, dass ich schon sehr viel gesagt habe. Vegan leben heißt nicht, dass man kein Mann mehr sein kann. Überdenkt euer Selbstbild in Bezug auf Männlichkeit einfach mal in einer ruhigen Minute und schaut euch an, wer ihr wirklich sein wollt und welchen Einflüssen von außen ihr ausgesetzt seid. Ansonsten kann vegan ja auch total cool sein, wenn man sich die großartigen veganen Leistungs- und Kraftsportler anschaut. Wenn das euer Ziel ist, dann ist die vegane Lebensweise eine super Basis! Für mich ist schließlich der Schutz von wehrlosen Lebewesen das Sinnbild von Männlichkeit, denn nur wir Menschen können Tiere vor Schmerz, Leid, Ausbeutung und letztlich einem sinnlosen Tod bewahren. Diejenigen, die den Kreislauf der Gewalt weiter unterstützen, sollten lieber nochmal über sich selbst nachdenken, bevor sie andere verurteilen…
Hier geht es zu weiteren tollen Interviews der Aktion:
- Interview 1: Veganer Profiboxer Ünsal Arik: “Mit Herz für Tiere und deine Umwelt bist du männlicher als du denkst.”
- Interview 2: Sebastians Tipp an unvegane Männer: “Give it a try! Wenn es dir nicht schmeckt, dann kannst du es immer noch bleiben lassen …”
- Interview 3: Karl Hermann: “NIEMAND hat einen Einfluss darauf, in welchem Körper er auf unserer Erde lebt.”
- Interview 4: Matthias: “Wer seine Männlichkeit über Fleischkonsum definiert, den kann ich nur bedauern.”
- Interview 5: Thorben: “Es gibt nichts Männlicheres für viele Frauen als ein Mann, der Mitgefühl hat und Tiere liebt.”
- Interview 6: Tim: Sein Weg vom größten Burger King-Fan zum Veganer
- Interview 7: Martin: “Es fühlte sich so an, als wäre ich aus einem Alptraum aufgewacht.”
- Interview 8: Das wachsende Bewusstsein für den Veganismus ließ Michael immer tiefer graben und hinterfragen
- Interview 9: Alexander: “Bedenke immer die Folgen deines Handelns.”